Verantwortliche Leitung von CONTOC-Deutschland durch
Ilona Nord, Wolfgang Beck, Georg Lämmlin
Kooperationspartner*innen in der Forschungsgruppe CONTOC-Deutschland:
Oliver Adam, Jürgen Deniffel, Simon Eckhardt, Friederike Horn,
Viera Pirker, Hilke Rebenstorf, Ann-Kristin Renneberg,
Gunther Schendel, Hermann-Josef Wagener
Gesamtleitung der internationalen CONTOC Studie:
Thomas Schlag, Ilona Nord, Sabrina Müller, Wolfgang Beck, Arnd Bünker, Georg Lämmlin.
Im vergangenen Jahr hat CONTOC (Churches Online in Times of Corona) eine internationale und ökumenische Befragung von Pfarrpersonen und Hauptamtlichen in Kirchen- bzw. Pfarrgemeinden durchgeführt. In der Feldphase von 29.05. bis 12.07.2020 haben sich über katholische Bistümer 1551 und über evangelische Gliedkirchen 2407 Personen beteiligt. Mit mehr als 3000 Datensätzen aus Deutschland kann die Forschungsgruppe auf eine detailreiche Datenbasis zurückgreifen, um die gottesdienstliche, seelsorgerliche, diakonische und bildungsbezogene Praxis in den Gemeinden in der ersten Phase der Pandemie umfangreich zu beschreiben. Ausgangssituation waren die im März 2020 abgesagten Gottesdienste insbesondere für die Karwoche und Osterzeit sowie die Einschränkungen direkter Begegnungen in kirchlichen Kontexten.
Die Studie bearbeitet zentral den Umgang von hauptamtlich Beschäftigten der katholischen und evangelischen Kirche in Deutschland mit Digitalisierungsprozessen. Hierzu gehört z.B. die Erforschung des berufsorientierten und des privaten Umgangs der Befragten mit Social Media-Kommunikationen ebenso wie die Frage nach virtuellen Kooperationsformen. Es wurde nach dem Einsatz digitaler Medien in den zentralen Handlungsfeldern der Kirchen gefragt ebenso wie nach dem Rollenverständnis der Aktiven. Die Kooperation mit Ehrenamtlichen und weiteren Freiwilligen in den Gemeinden stand ebenso im Fokus wie die Wahrnehmung von Unterstützung durch kirchenleitende Strukturen sowie die Einschätzung zum Handlungsbedarf in den Kirchen. Es wurden Daten zu den Bereichen Gottesdienst, Seelsorge, Diakonie, Bildung sowie zum Rollenverständnis von Hauptamtlichen im gemeindepastoralen Feld und deren Umgang mit pandemiebedingten Herausforderungen gestellt.
Ein überraschendes Ergebnis ist, dass Dreiviertel der Befragten in Digitalisierungsprozessen innerhalb kirchlicher Kommunikation eher Chancen als Risiken sehen (vgl. Abb. 1).
Auf der Basis vieler kirchlicher Kommunikationen, die Digitalisierungsprozesse in den vergangenen Jahren eher kritisch in den Blick genommen haben, wurde mit anderen Ergebnissen gerechnet. Auch die Fragen nach der Beteiligung an digitalen Kommunikationsformen, insbesondere in sozialen Medien, sowohl in persönlicher wie in beruflicher Hinsicht, beantworten knapp Zweidrittel der Befragten positiv, zudem erklärt etwa die Hälfte, dass ihre Gemeinde einen Account auf mindestens einer Social-Media-Plattform unterhält. Knapp 80 % sehen sich dabei als mindestens durchschnittlich versiert, nur etwa ein Fünftel als eher ungeübt. Selbstverständlich gibt es Befragte, die – wie unsere repräsentative Studie ausweist – keine digitalen Medien während des ersten Lockdowns eingesetzt haben.[1] Doch dies kann sehr verschiedene Gründe haben: Hier ist nicht nur die Einstellung zu digitalen Medien zu sehen (Will), sondern auch die Ausstattung (Tool) und die Kompetenz (Skill), die den Einsatz digitaler Medien in kirchlichen Kommunikationen beeinflussen.
Zudem gab es immer wieder Hinweise, dass die Befragten selbst nicht digital kommuniziert haben, aber andere Personen in der Gemeinde diese Aufgabe übernommen hätten. So ist eine wenig aufgeregte oder emphatische und vielmehr eine sehr realistische Haltung unter den Befragten erkennbar: Es gibt weder aufgrund der quantitativen noch aufgrund der qualitativen Daten Anlass von einem ‘Technikhype’ oder von einer ‘Technikangst’ zu sprechen. Wir leben in Zeiten, in denen die Digitalisierung zum Normalfall geworden ist und man sich mit ihr konkret auseinandersetzen muss, anstatt darüber zu streiten, ob sie generell als globaler Prozess zu bekämpfen ist. Die Befragten nutzen in großen Teilen digitale Medien[2] oder schätzen die Nutzung anderer in der Kirchen- bzw. Pfarrgemeinde arbeitenden Personen als produktiv für die kirchliche Kommunikation ein.[3] Zugleich wird Bedarf angezeigt für eine theologische Reflexion kirchlicher Praxis, und zwar je mehr man digital kommunizierte. 95% der Befragten haben während des ersten Lockdowns erstmals einen Gottesdienst gestreamt.[4] Hier wurde also in der Breite ein neues Format für die Gemeindearbeit getestet.
Vielen ist es nun wichtig, dieses Experiment auch theologisch zu durchdringen: wie und was verändert sich an Gottesdiensten, wenn sie für ein Streaming ‚produziert‘ werden? Produzieren und Konsumieren, das sind keine allgemein akzeptierten Vokabeln, wenn es um Gottesdienste geht. Was bedeuten solche Entwicklungen für die Gemeinschaft der Gläubigen, sind sie wirklich als radikal neu zu verstehen oder setzen sich bereits vorhandene Dynamiken ‚nur‘ fort? Was bedeutet dies für die Rolle der Liturg:innen? Diese und weitere Fragen wurden durch die Erfahrungen der Pandemie neu generiert, nicht nur für Spezialist:innen sichtbar bzw. relevant und sie werden uns in Zukunft weiter begleiten. Die vorliegende Studie versteht sich deshalb vor allem als ein Projekt zur Generierung von Fragen für die gegenwärtige Kirchenentwicklung.
Die CONTOC-Studie ist auf eine repräsentative Stichprobe hin angelegt. Dazu wurde die Grundgesamtheit der im pastoralen Dienst tätigen hauptamtlichen Mitarbeiter:innen als Referenzgröße festgelegt und diese direkt über dienstlichen E-Mail-Verteiler zur Beteiligung an der Online-Befragung angeschrieben. Auf evangelischer Seite wurden dazu die Gliedkirchen der EKD, auf katholischer Seite die Diözesen zur Mitwirkung gewonnen. Sowohl der Umfang der Stichprobe wie die Verteilung der soziodemographischen Merkmale (Alter, Geschlecht, Geographie) weisen auf eine repräsentative Auswahl hin, wenn auch nicht gleichmäßig über die Gliedkirchen der EKD bzw. die Diözesen hinweg. Die bei der Geschlechtsverteilung überproportionale Beteiligung von Frauen kann durch eine Gewichtung des Datensatzes kompensiert werden. Aber sie macht uns auch darauf aufmerksam, wie stark die Beteiligung von Frauen an der Untersuchung war.
Die Vermutung, dass die Form der Online-Befragung bereits digital affine Personen stärker erreichen könnte, wird durch die repräsentative Verteilung bei den soziodemographischen Daten wie durch das Ergebnis relativiert, dass sich auch etwa zu einem Fünftel Personen beteiligt haben, die selbst keine Online-Formate bei Gottesdiensten entwickelt bzw. angeboten haben. Mit einer gewissen Vorsicht bei der Interpretation im Blick auf Teilsysteme lässt sich daher von einem repräsentativen Bild für den Rückblick auf die Situation in den pastoralen Handlungsfeldern während des ersten Lockdowns ausgehen.
Auffällig ist ferner, dass Frauen wie Männer ohne nennenswerten Unterschied unter den Befragten den Umgang mit digitalen Medien praktizieren und für relevant für die Gemeindearbeit halten. Sie sind überwiegend der Meinung, dass digitale Kommunikation die Konnektivität unter den Gemeindemitgliedern fördert. Es wurde deutlich, dass Digitalisierungsprozesse keineswegs dazu führen, dass in den Gemeinden die hauptamtlichen Befragten einen Funktionsverlust bzw. eine Rollenveränderung ausgemacht hätten. Die Befragten zeigen eine klare Rollenstabilität; möglicher Weise hat die Krise sogar dazu geführt, die Identifikation und Auseinandersetzung mit spezifischen Identifikationsmarkern erneut auszulösen und somit eine die persönliche Position stabilisierende Reflexion auszulösen. Allerdings sehen die Befragten überwiegend, dass sich die Formen der Präsenz ihrer Aktivitäten durch digitale Formate verändern.
Ebenfalls lässt sich sehen, dass die Rezeptionsgewohnheiten sich verändern und die Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen in der Krise eine hohe Bedeutung hatte. Zugleich machten diese Aktivitäten aber auch deutlich, von welcher hohen Bedeutung die Digitalkompetenz für die Ausübung einer pfarramtlichen Tätigkeit ist. Bei den Antworten zum Handlungsbedarf erzielen sowohl die Frage nach Weiterbildung(sangeboten) wie nach theologischer Reflexion und Kategorienbildung sehr hohe Zustimmungswerte, während die Frage nach der Einstellung neuer professioneller Mitarbeitender eher zurückhaltend beantwortet wird. Im Fokus der pastoral Tätigen steht daher, im Rückblick auf die erste Phase der Pandemie, die eigene kommunikative und theologische Fortbildung bzw. Weiterentwicklung (vgl. Abb. 2).
Insgesamt lässt sich für beide Konfessionen sagen, dass die Befragung zeigt, wie sehr die Krise die Innovationswilligkeit und das Innovationspotential der Befragten sichtbar macht. Sie möchten Veränderungen im Bereich üblicher Arbeitsorganisation erreichen, sie waren erfreut über die Reduktion der Sitzungs- und Administrationszeiten während des ersten Lockdown und sahen darin die Möglichkeit, sich auf für sie wichtige und sinnvolle Tätigkeiten neu zu konzentrieren. Zwei Statements, die als verbreitete Argumentationsmuster verstanden werden können und aus den offenen Fragen der Onlinebefragung stammen, sollen dies verdeutlichen:
Die Corona-Krise ist eine Chance für die Kirche, sich neu auszurichten. Sie hat uns zumindest teilweise die Zeit geschenkt, Neues auszuprobieren und zu wagen, die wir sonst nicht haben. Fazit: Wenn wir uns selbst die Zeit für zu viele Verpflichtungen nehmen, bleibt keine Zeit für Neues wagen.
Corona hat zumindest meiner Gemeinde erstaunlich gut getan, auch wenn es natürlich gesellschaftlich etc. eine Katastrophe ist. Ohne Corona wäre hier nicht halb so viel Kreativität, Engagement und Freiraum zum Ausprobieren gewesen.
Digitale Kommunikation wurde dabei – wie bereits oben in Bezug auf das Thema digitale Kirche angesprochen – nicht als radikal neue Form von Kirche angesehen, sondern als Ergänzung zu eingeübten und tradierten Formen. Wiederum zwei Musterargumentationen, die dies belegen:
… Als Alternative in Krisenzeiten ja, aber nicht als Ersatz von analogen Gottesdiensten.
… Das kirchliche Onlineangebot ist unverzichtbar. Aber der Großteil der Bindung an eine Kirche geschieht durch persönliche Kontakte und Vorbilder, die danach vielleicht digital ergänzt, gestärkt, fortgeführt, erweitert und vertieft werden können.
Die Pandemie hat im ersten Lockdown dazu geführt, dass das Handlungsfeld Gottesdienst sowohl intern in Kirchengemeinden – nicht zuletzt aufgrund des teilweise gänzlich angeordneten oder eingeschränkten Versammlungsverbots – als auch extern in der journalistischen Öffentlichkeit hohe Bedeutung erhielt. Hier wurden viele Ressourcen der Befragten eingesetzt. Dabei ergibt sich ein dynamisches Bild der Gottesdienstpraxis, das einerseits den öffentlichen Diskursen der Pandemiezeit zu einem großen Teil widerspricht, und andererseits mit seinen ausgeprägt partizipativen Elementen und Praktiken die klassischen Gemeindegottesdienste in der Zeit vor der Pandemie übersteigt. So gibt es im Umgang mit digitalen Gottesdiensten einen aufmerksamen Blick darauf, dabei Menschen zu erreichen, zu denen es sonst keinen Kontakt gibt (stärker bei evangelischen Befragten)[5] oder die immobil sind (stärker bei katholischen Befragten).[6] Der Faktor familiäre Frömmigkeit im häuslichen Kontext und die Begleitung der Hauskirche wird in der Pandemie wieder entdeckt.
Die Gestaltung der neuen Gottesdienstformate wird deutlich an Erwartungen und Bedürfnissen ausgerichtet und beinhaltet unterschiedliche Formen für eine aktive Teilnahme und Mitgestaltung (vgl. Abb. 3).
Dies ist umso erstaunlicher, da (gerade in der katholischen Kirche) von den Hauptamtlichen wichtige und erwartete Unterstützungsleistungen durch diözesane Fachstellen, Kirchenleitungen und mittlere institutionelle Ebenen vermisst wurden.[7]
Bei der Gottesdienstform einer digitalen Abendmahlsfeier bzw. einer sogenannten digitalen Eucharistiefeier unter den katholischen Befragten, zeigen sich konfessionelle Unterschiede. Bei den evangelischen Befragten geben in den Mehrfachantworten zu Online-Gottesdienst-Formen 4% Abendmahl an, bei den katholischen Befragten dagegen 24% Eucharistie. Hierbei dürften ebenso grundlegende Unterschiede im Gottesdienstverständnis (und ihre Folgen in der Praxis) wie die Diskussion um ein „digitales Abendmahl“ einen starken Einfluss gehabt haben, weshalb die Ergebnisse eher zurückhaltend zu interpretieren sein dürften. Gleichwohl legen sie nahe, dass eine Diskussion um die digitale Form von Eucharistie und Abendmahl angezeigt ist.
Der Bereich der Bildung, insbesondere für Senior:innen, ist im Spektrum beider Konfessionen nahezu ausgefallen. E-Learning ist in der Krise als ein wichtiger Faktor zu Tage getreten, der von der gemeindlichen Bildung kaum praktiziert wird. Umso wichtiger, dass Landeskirchen, wie etwa die Evangelisch-lutherische Landeskirche in Bayern es derzeit unternimmt, hier einen neuen Schwerpunkt setzen. Deutlich wird aber auch, dass während des ersten Lockdowns vielerorts versucht wurde, die Firmkurse und Konfirmationsunterricht so lange wie möglich in persönlicher Anwesenheit durchzuführen. Die Jugendlichen sollten die Gelegenheit haben, so oft wie möglich Treffpunkte für sich zu haben und sich in einer Lernsituation unter Anwesenden vorzufinden, die es ermöglicht, auch Tür- und Angelgespräche zu haben und umfassender auf Lebenssituationen von Jugendlichen einzugehen.
Die Seelsorge konnte durch verschiedene, auch teilweise eingeübte Formate wie Telefonseelsorge in Gemeindebezügen aufrechterhalten werden, aber es wurde zudem ebenfalls mit neuen Formaten experimentiert, wie etwa digitaler Gruppenseelsorge via Videochat.
Für Netzwerkbildungen über die eigenen Gemeinden hinaus blieb den Befragten offensichtlich kaum Energie. Kooperationen erfolgten primär im gemeindlichen Nahbereich, nur in geringem Umfang mit Vereinen und lokalen Ansprechpersonen. Noch weniger spielten Gemeinden anderer Konfessionen oder interreligiöse Kontakte für die gegenseitige Unterstützung einer Rolle. Es stellt sich die Frage, ob intergemeindliche oder interkonfessionelle bzw. interreligiöse Kooperationen in der Pandemie eher als Zusatzaufgabe und Belastung denn als Ressource angesehen werden?
Auffallend, aber nicht wirklich erstaunlich, ist in der evangelischen Stichprobe mancher Unterschied zwischen Pfarrpersonen im gemeindlichen Dienst und im funktionalen Dienst. Aufgrund unterschiedlicher Zuständigkeitsbereiche – in den Gemeinden das gesamte Programm kirchlicher Angebote und Handlungsfelder in einem regional klar abgegrenzten Gebiet, im funktionalen Dienst die Konzentration auf einzelne gemeindeübergreifende Handlungsfelder – ist es naheliegend, dass die Phase des 1. Lockdowns in der Corona-Pandemie unterschiedliche Spuren hinterlassen hat. Manche Fragen lassen sich deshalb überhaupt nur sinnvoll für Gemeindepastor:innen auswerten und beschreiben.
So zeigen sich bei den Pfarrpersonen im Gemeindedienst erhebliche Differenzen daraufhin, wie sie ihrer Rolle gerecht werden konnten. Kaum jemand formulierte Zweifel daran, der Rolle als Liturg:in gerecht worden zu sein, sich auf die Anforderungen der digitalen Kommunikation einlassen zu können, und knapp drei Viertel fühlte sich sogar ermutigt, kreativ zu werden. Ganz anders bei der Rolle als Seelsorger:in: über die Hälfte meinte, der Rolle als Seelsorger:in nicht vollumfänglich gerecht worden zu sein. Dabei fand Seelsorge in breitem Umfang statt, wenn auch weniger in digitalen Formaten, wenn man von telefonischen Kontakten absieht, als dass Möglichkeiten persönlicher seelsorgerlicher Begleitung gefunden wurden: Begleitung Angehöriger bei Trauerfällen und selbst Durchführung von Bestattungen in angemessener Form, nur die sogenannte Anstaltsseelsorge wird als kaum möglich beurteilt. Dabei konnten wir feststellen, dass ein Teil der Pfarrpersonen (ca. 30%) tatsächlich eher inaktiv war, der größte Teil (38%) Seelsorge überwiegend telefonisch durchführte, ein kleinerer Teil (ca. 13%) war überwiegend in der Gruppenseelsorge aktiv, die anderen auf allen Kanälen mehr oder weniger stark (vgl. Abb. 4).
Der Aktivitätsgrad zeigte dabei einen Zusammenhang mit dem Dienst (Gemeinde oder funktional), der Siedlungsform (ländlich – urban), dem Geschlecht, dem Alter und natürlich der Versiertheit im Umgang mit Online-Kommunikationsmedien. Entsprechend wird in der Weiterbildung im Bereich Digitalisierung der stärkste Handlungsbedarf gesehen, zugleich wird aber auch die Unterstützung gerade durch die mittlere Ebene der eigenen Kirche geschätzt.
Die quantitativen Daten der Studie lassen im Hinblick auf den Bereich Bildung und Beteiligung folgende Erkenntnisse zu: die Einstellung zu digitalen Medien hat sich verändert, die digitalen Kompetenzen der Befragten wurden ausgebaut und die digitale Ausstattung der Kirchengemeinden wurden evaluiert oder verbessert. Bildung in digitalen Medien ist für die Befragten nur eingeschränkt relevant oder möglich gewesen, als Anbietende haben sie erste Erfahrungen gesammelt und können ihren Bedarf konkretisieren. Bildung über digitale Medien hat dazu geführt, dass ihr Ziel in der Erhöhung der Beteiligung an Angeboten gesehen wurde, ihre soziale Dimension sehr hervorgetreten ist sowie theologische und soziale Reflexionen zu digitalen Medien eingesetzt haben.
Ausgehend davon wurden für eine qualitative strukturierende Inhaltsanalyse Kategorien aus den vorläufigen Ergebnissen der quantitativen Daten gebildet. Das dadurch entstehende Kategoriensystem kam zur Anwendung für den deduktiven Auswertungsprozess der EKD-Daten zu den Fragen: „Was wird unwichtiger?“ (1529 Antworten), „Wo halten Sie ein verstärktes Engagement für sinnvoll?“ (1656 Antworten) und „Was ich sonst noch sagen wollte….“ (908 Antworten). Die Auswertung der evangelischen Daten ergab, dass im 1. Lockdown überwiegend ein Lernen mit digitalen Medien stattfand. Die Befragten mussten innerhalb kürzester Zeit dazulernen, digitale Medien zu bedienen und erklärten die Kontaktaufnahme und das Erreichen von Menschen und die eigene Vorbildfunktion als Ziel. Als exemplarische Fallbeispiele dienen folgende Aussagen aus dem qualitativen Datenmaterial:
`{`…`}` Ich habe keine Ahnung wie das gehen soll. Aber ich bin fest entschlossen, es rauszukriegen. Mein Zeithorizont sind die Herbstferien: Bis dahin will ich mit überschaubarem zeitlichen Einsatz Videos mit 2 Kameras filmen können, schneiden (incl. seperater Tonspur), Licht und Ton verbessert haben, die Uploads und Speicherprobleme gelöst haben. Und dazu das Netz von Aktiven in Musik, Lesung und eigener Sprache geknüpft haben. `{`...`}`
Es war äußerst herausfordernd, zunächst jedes Tool, was man benutzen sollte, zunächst auf Sicherheitslücken zu prüfen und dann Position zu beziehen und z.B. an unsicheren Videokonferenzen nicht teilzunehmen (und zu bitten, sich einfach per Telefon dazuschalten zu können, um zumindest die Inhalte der Konferenzen mitzuhören) , bestimmte onlineplattformen nicht einfach mal eben schnell zu nutzen und dazu die notwendige Kommunikation mit meiner Dienststelle zu führen, von der ich mich sehr gut geleitet gefühlt habe. `{`…`}`
In gleichem Maße tritt das Lernen über digitale Medien in der Reflexion in den Vordergrund. Die evangelischen Befragten fordern nicht nur eine Professionalisierung und Weiterbildungen in allen digitalen und technischen Bereichen, sondern heben besonders die Auseinandersetzung im Umgang mit digitalen Medien hervor.
Zu den grundlegenden Beobachtungen der CONTOC-Studie in Deutschland gehört, dass sich ein beachtlich großer Anteil von kirchlichen Seelsorger*innen in der Krisenerfahrung durch den eigenen Glauben und die eigene Spiritualität gestärkt[8] und sich in der Erfahrung des Lockdowns im Frühjahr 2020 zu einem kreativen Gestalten der Situation durch neue Formen pastoralen Agierens ermutigt sehen.[9] Dadurch entstehen insbesondere im gottesdienstlichen Bereich viele digitale Angebote, die insbesondere in ihrer Formenvielfalt[10], ihrer Erstellung in Teamarbeit mit Ehrenamtlichen und Kolleg:innen, in ihrer dynamischen Weiterentwicklung durch Rückmeldungen[11] und in den neuen Formen partizipativer Einbindung von Mitfeiernden auffallen (vgl. Abb. 5).
Die im Frühjahr in der katholischen Kirche verstärkt geführten Debatten zur Feier der Eucharistie (Abendmahl) und der Praxis der Beichte, die sich zunächst vorwiegend an traditionellen Verständnisweisen orientierten (wie z.B. dem Konzept der „Geistigen Kommunion“, die als eingeschränkte Form der Gottesdienstteilnahme primär als unzeitgemäße Form kirchlicher Disziplinierung bekannt war) werden von den Befragten in großer Mehrheit als wenig hilfreich und kaum vermittelbar eingeordnet.[12]
Sowohl in der konkreten Ausgestaltung wie auch in der pastoralen Bewertung digitaler Kommunikationen lassen sich unter den Verantwortlichen vor Ort offene Suchprozesse erkennen.
Diese Aktivitäten werden insbesondere mit den Teamkolleg:innen vor Ort und den Ehrenamtlichen entwickelt. Damit dies gelingen kann, werden allerdings auch deutliche Erwartungen an Verbesserungen bei den Qualifizierungsmaßnahmen kirchlicher Mitarbeiter:innen im Umgang mit digitalen Formaten, an die Verbesserung der technischen Infrastruktur und die Anstellung professioneller IT-Mitarbeiter:innen in den Diözesen und Landeskirchen formuliert.
CONTOC ist eine Umfrage, die die Befragten im ersten Lockdown erreicht hat. Vieles wird sich inzwischen verändert haben. Um diese Veränderungen abzufragen, ziehen die Verantwortlichen für das Frühjahr 2022 eine nächste Befragung in Betracht.
Es gilt Eckpunkte der bisherigen Umfrage noch einmal zu erheben: Wie hat sich der Umgang mit gottesdienstlichem Handeln weiterentwickelt, sind immer noch vor allem Formate des gestreamten Gottesdienstes und damit von Religion online in der Breite interessant oder haben die erprobten Formate der kleinen Andachtsformate den Umgang mit digitaler Kultur insgesamt bereits verändert? Greifen mehr Leute als bislang auf Formate zu, die in analoger Form noch gar nicht existieren, also neuer sind? Hat sich das Kooperationsverhalten in den Gemeinden verändert? Wie steht es mit online Bildungsformaten, konnten sie intensiviert werden oder sind sie weiter nicht relevant? Diese und weitere Fragen wecken Interesse, auf den mit der Pandemie angestoßenen Prozess.
[1] CONTOC-D. Item DIGITAL3_SQ003 [Ich nutze keine … privat], 21,1% der Befragten aus dem EKD-Datensatz.
[2] CONTOC-D. Item DIGITAL3_SQ002 [Ich nutze … privat], 70,07% der Befragten aus dem EKD-Datensatz.
[3] CONTOC-D. Item DIGITAL4GD2_SQ004 [Die digitalen Angebote sollten Gemeinschaft ermöglichen], 55,09% der Befragten aus dem EKD-Datensatz.
[4] CONTOC-D. Item DIGITAL4GD5_f, 94,3% der Befragten aus dem EKD-Datensatz.
[5] COTNOC-D / kath. /ev. Item DIGITAL4GD9_SQ001 (N kath. 1491 / N ev. 2292)
[6] COTNOC-D / kath. / ev. Item DIGITAL4GD9_SQ004 (N kath. 1487 / N ev. 2243)
[7] CONTOC-D / kath. Item WORK_SQ 006 (N 1504). Auf die Frage „ Inwieweit fühlten Sie sich durch die Bistumsleitung unterstützt?“ antworteten 10,8 % „fühlte mich gar nicht unterstützt“, 23,1 % „wenig unterstützt“, 26,9 % „teils-teils“. Und nur 12,7 % antworteten „fühlte mich sehr gut unterstützt“ und 26,5 % „fühlte mich ausreichend unterstützt“.
[8] Für den katholischen Bereich geben 75,6 % der Befragten an, dass Ihnen der persönliche Glaube in der Zeit des Lockdown besonders geholfen habe.
[9] COTNOC-D / kath.: Item WORK_SQ 004 (N 1546). 70,9 % der katholischen Befragten stimmen der Aussage “Ich fühlte mich ermutigt, kreativ zu warden” voll und ganz oder eher zu.
[10] CONTOC-D. Item DIGITAL4GD1_SQ001 bis SQ009 (N kath. 1551; N ev. 2389)
[11] CONTOC-D / kath. Item DIGITAL4GD6_SQ002 (N kath 827)
[12] CONTOC-D / kath. Item DIGITAL4GD7_SQ002 (N 1418). Zu der Aussage „Geistige Kommunion wird nicht verstanden“ antworten 32 % „trifft voll uns ganz zu“ und 40% „triff eher zu“. CONTOC-D / kath. Item DIGITAL5SEL3_SQ002 (N 1231). Zu der Aussage „Die Möglichkeit zur Beichte fehlte Menschen in meinem Umfeld“ antworteten 34,8 „trifft überhaupt nicht zu“ und 36,5 % „trifft eher nicht zu“.
Empfohlene Zitation:
Churches Online in Times of Corona (CONTOC): Ergebnisse zur CONTOC-Studie, Sektion Deutschland, aufbauend auf die erste ökumenische Tagung am 13.4.2021.
Empfohlene Verwendung der Grafiken:
Churches Online in Times of Corona (CONTOC): [Name der Abbildung], in: Ergebnisse zur CONTOC-Studie, Sektion Deutschland, aufbauend auf die erste ökumenische Tagung am 13.4.2021.
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